Das Kreuz und der Krieg: Müssen Christen wirklich Pazifisten sein?
Seit bald einem Jahr herrscht mitten in Europa wieder Krieg – und das selbst jetzt, kurz vor dem Fest des Friedens. Die veränderte Situation wirft nicht zuletzt die Frage nach dem Umgang mit Krieg und Gewalt auf. Wie sieht das im christlich geprägten, weitgehend pazifizierten Europa aus? Gibt es ein Recht auf Wehrhaftigkeit und Selbstbehauptung?
Der renommierte Politikwissenschafter Dr. Christoph Rohde spürt dieser Frage in „Das Kreuz und der Krieg“ nach. Geleitet wird er dabei nicht nur von der Lehre und Theologie der Kirchen, sondern auch von der Denkschule des Realismus. Der zentrale Gedanke des Buches ist, dass Christen gehalten sind, eine Trennung zwischen der hochstehenden individuellen Ethik des Evangeliums und einer politischen Ethik vorzunehmen. Basierend auf Gedanken Augustinus’ und Luthers mit ihren Lehren der zwei Reiche zeigt Rohde, dass sowohl eine Politisierung des Glaubens als auch eine Theokratisierung des Staates negative Folgen für das Glaubensleben der Individuen als auch für die gesellschaftliche Stabilität zeitigen. Sowohl Jesus Christus als auch der Apostel Paulus hatten die Trennung zwischen persönlicher Opferbereitschaft in pazifistischem Sinne und einer unvermeidlichen staatlichen Ordnungsmacht, die in der gefallenen Welt tätig sein müsse, vorgenommen. Durch diese analytische Trennung werden Exzesse politischer Selbstgerechtigkeit und Moralisierung vermieden. Die pessimistische Anthropologie, das Bewusstsein seiner Sündhaftigkeit kann Menschen und staatlich handelnde Akteure zu einer Demut führen, die friedensfördernde Haltungen und Handlungen bewirken kann. Diese These versucht der Autor am Beispiel kirchlicher Versöhnungsinitiativen in der Kirche zu belegen.
Es ist kein Zufall, dass das zentrale Denken Benedikt XVI. in zahlreichen Passagen des Buches offenkundig wird. Eine vernunftgeleitete Politikanalyse und eine glaubensbasierte Sicht auf die Welt schließen sich nicht aus – im Gegenteil. Wo die Vernunft mit seiner positivistischen Analysetechnik und seinen Reziprozität einfordernden Normen an ihre Grenze stößt, dort überwindet die vergebende Kraft der Liebe verhärtete, oft historisch und emotional gewachsene Grenzen. Das historische gewachsene Naturrecht ist hier von großer Bedeutung. Rohde: „Das katholische Naturrecht stellt eine vorpolitische Bestimmungsgröße dar, an der sich gesellschaftliche Ordnungen messen lassen. Den Gefahren eines Kulturrelativismus und sich verschärfender Identitätskonflikte kann mit Hilfe dieses historisch bewährten Maßstabes entgegengewirkt werden“ (S. 333). Das Buch Das Kreuz und der Krieg ist für Menschen zu empfehlen, die das Spannungsfeld zwischen ihren persönlichen Maßstäben und einer immer paternalistischeren Politik empfinden. Es ist fachspezifisch für Politikwissenschaftler, Theologen und auch kirchliche Praktiker unbedingt zu empfehlen.
Lepanto Verlag, 386 Seiten, 19,10 Euro
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